Atomzeitalter
Nur wenige Monate nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 beschloss der Bundestag den endgültigen Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Der Atomausstieg wurde am 15. April 2023 abgeschlossen, als die letzten Kernkraftwerke endgültig vom Netz gingen. Doch damit ist das Kapitel der Kernenergie in Deutschland keineswegs abgeschlossen. Der Rückbau der stillgelegten Atomkraftwerke wird voraussichtlich noch Jahrzehnte dauern und mehrere Milliarden Euro kosten.
Auch 70 Jahre nach Beginn der zivilen Nutzung der Kernenergie in Deutschland wird weiterhin nach einem geeigneten Endlager für hoch radioaktiven Müll aus Atomreaktoren und Forschungseinrichtungen gesucht. Dieser Prozess stellt eine der größten technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen dar.
Die Arbeit Atomzeitalter dokumentiert die Geschichte und Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Sie beleuchtet den Weg vom Uranabbau für die sowjetische Atombombe bis hin zur aktuellen Endlagersuche auf der „weißen Landkarte“. Dabei werden Landschaften und soziale Strukturen gezeigt, die über Jahrzehnte von der zivilen und militärischen Nutzung der Atomkraft geprägt wurden. Das Ergebnis ist ein vielschichtiges Porträt über den Rückbau einer einstigen Utopie: die Vision einer unbegrenzten, sauberen Energiegewinnung.
KKW Grohnde

Das Kernkraftwerk Grohnde liegt etwa 40 Kilometer südlich von Hannover und gehörte einst zu den Kraftwerken mit der höchsten Bruttostromerzeugung weltweit. Der Druckwasserreaktor ging trotz großer Proteste der Bevölkerung 1985 ans Netz und wurde am 31. Dezember 2021 im Rahmen des deutschen Atomausstiegs endgültig abgeschaltet. Die Baukosten für das Kraftwerk an der Weser beliefen sich damals auf umgerechnet rund 200 Millionen Euro.

Während seiner 37-jährigen Betriebszeit kam es zu 277 meldepflichtigen Störfällen. Im oberirdischen Zwischenlager für abgebrannte Kernbrennelemente stehen aktuell 34 Castoren. Der Rückbau des Kraftwerks soll voraussichtlich etwa 20 Jahre dauern und rund 1 Milliarde Euro kosten.


KKW Gundremmingen

Das Kernkraftwerk Gundremmingen, an der Donau in Bayern gelegen, war eines der umstrittensten Kernkraftwerke Deutschlands. Block A, der 1966 in Betrieb ging, wurde nach einem schweren Störfall 1977 endgültig abgeschaltet. Die Blöcke B und C, die ab den 1980er Jahren betrieben wurden, gingen 2017 bzw. 2021 im Rahmen des Atomausstiegs vom Netz.

Das Kraftwerk war für hohe radioaktive Tritiumeinträge ins Kühlwasser bekannt und wurde regelmäßig für Sicherheitsrisiken kritisiert. 


Brennelementfertigungsanlage Lingen
Am Zaun der Brennelementfertigungsanlage im niedersächsischen Lingen stehen Messgeräte für radioaktive Strahlung – ein sichtbares Zeichen der besonderen Sicherheitsanforderungen. In der Fabrik des französischen Betreibers ANF (Advanced Nuclear Fuels), einer Tochtergesellschaft von Framatome, werden Kernbrennstoff und Brennelemente für Atomkraftwerke produziert. Rund 90 Prozent der Produktion werden ins Ausland exportiert, insbesondere in Länder, die weiterhin auf Kernenergie setzen.

Obwohl Deutschland seinen Atomausstieg 2023 abgeschlossen hat, verfügt die Anlage über eine unbefristete Betriebserlaubnis. Dies sorgt für Kritik von Atomkraftgegnern, die eine Schließung fordern, da die Fabrik indirekt den Weiterbetrieb ausländischer Atomkraftwerke unterstützt. Die Anlage bleibt ein kontroverses Symbol für die widersprüchliche Energiepolitik Deutschlands.


Forschungsbergwerk Schachtanlage Asse

Die Schachtanlage Asse, ein ehemaliges Salzbergwerk in Niedersachsen, wurde zwischen 1967 und 1978 als Versuchsanlage für die Endlagerung radioaktiver Abfälle genutzt. Anfangs wurden Fässer mit radioaktivem Müll stehend übereinandergestapelt; ab 1974 kippte man sie mit Radladern in die Kammern. Heute sind viele dieser Fässer beschädigt oder undicht, was erhebliche Gefahren birgt. Über 85 Prozent des eingelagerten radioaktiven Mülls stammen aus den Kernkraftwerken von Vattenfall, E.ON, RWE und EnBW.

Seit 1988 ist bekannt, dass täglich etwa 12.000 Liter Wasser in die Asse eindringen. Sollte diese Salzlösung in die Einlagerungskammern gelangen, droht eine Kontamination des Grundwassers mit radioaktiver Lauge. Angesichts des maroden Zustands des Bergwerks wurde beschlossen, den Atommüll ab 2033 zu bergen und oberirdisch zwischenzulagern.

Die Kosten für die Bergung und Sicherung werden auf mindestens 3,35 Milliarden Euro geschätzt. Die Schachtanlage Asse steht sinnbildlich für die Fehler und Risiken der frühen deutschen Atommüllentsorgung und stellt eine der größten Herausforderungen im Umgang mit radioaktiven Abfällen dar.

KKW Gundremmingen

Das Kernkraftwerk Gundremmingen, an der Donau in Bayern gelegen, war eines der umstrittensten Kernkraftwerke Deutschlands. Block A, der 1966 in Betrieb ging, wurde nach einem schweren Störfall 1977 endgültig abgeschaltet. Die Blöcke B und C, die ab den 1980er Jahren betrieben wurden, gingen 2017 bzw. 2021 im Rahmen des Atomausstiegs vom Netz.

Das Kraftwerk war für hohe radioaktive Tritiumeinträge ins Kühlwasser bekannt und wurde regelmäßig für Sicherheitsrisiken kritisiert. 

KKW Neckarwestheim

Das Kernkraftwerk Neckarwestheim, das 1988 als letztes westdeutsches Atomkraftwerk ans Netz ging, liegt auf einem ehemaligen Steinbruchgelände, etwa 7 Meter unterhalb des Neckar-Niveaus. Der Standort ist geologisch problematisch, da aufquellender Anhydrit Hebungsrisse verursacht. Um dies zu verhindern, werden pro Sekunde etwa 150 Liter Grundwasser abgepumpt. Dieser Vorgang spült Gips aus und führt zur Bildung metertiefer Hohlräume im Untergrund.

Der Kühlturm des Kraftwerks ist aufgrund dieser geologischen Instabilitäten bereits um 40 Zentimeter abgesunken. Über Jahre hinweg wurde versucht, den Untergrund durch die Einpressung von Beton zu stabilisieren. Dennoch kam es Ende 2002 in der Nähe des Kraftwerks zu einem 18 Meter tiefen Erdeinbruch auf einem Acker, was die Risiken des Standorts verdeutlicht.

Das KKW Neckarwestheim war bis zu seiner Abschaltung am 15. April 2023 ein wichtiger Stromlieferant, wobei ein Sechstel der erzeugten Energie direkt an die Deutsche Bahn ging. Der problematische Standort zeigt jedoch eindrücklich die Risiken von Atomkraftwerken in geologisch sensiblen Gebieten und verdeutlicht die langfristigen Herausforderungen im Rückbau und der Sicherung der Anlagen.

End- und Zwischenlager Gorleben

Vor dem Salzstock Gorleben steht das ehemalige Greenpeace-Aktionsschiff Beluga als Mahnmal gegen die umstrittene Endlagerpolitik der Bundesregierung. Die Beluga war jahrzehntelang mit Laboreinrichtungen und Messgeräten unterwegs, um die radioaktive Verschmutzung der Meere durch Atommüll aus den Wiederaufarbeitungsanlagen im britischen Sellafield und französischen La Hague nachzuweisen.

Die dabei gewonnenen Messergebnisse trugen maßgeblich dazu bei, dass die Bundesregierung 2005 die Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente im Ausland beendete. Gorleben, einst als potenzielles Endlager vorgesehen, steht inzwischen symbolisch für die gescheiterte Endlagerpolitik und den jahrzehntelangen Widerstand gegen die Atomkraft. Trotz der Einstellung der Nutzung als Endlager bleibt der Standort als Zwischenlager für hoch radioaktiven Abfall erhalten, was weiterhin Kritik und Proteste hervorruft.


Uranabbau Wismut

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Sachsen und Thüringen unter strenger Geheimhaltung Uran abgebaut, um die DDR zum viertgrößten Uranproduzenten der Welt zu machen. Insgesamt wurden 231.000 Tonnen Uran gefördert, das vor allem für die Herstellung von Yellowcake, dem Ausgangsstoff für Atombomben und Kernkraftwerke, verwendet wurde. Der Urananteil im Erz lag jedoch bei weniger als 0,1 Prozent, sodass pro Kilo gewonnenem Uran mehr als eine Tonne radioaktiv belastetes Gestein zurückblieb.

Die Folgen des Uranabbaus waren katastrophal: Es entstanden 311 Millionen Kubikmeter Haldenmaterial und 160 Millionen Kubikmeter radioaktive Schlämme. Die Kumpel, die unter Tage arbeiteten, waren massiven Gefahren durch radioaktiven Staub ausgesetzt. Zwischen 1946 und 1989 erkrankten 5.300 Bergleute an Lungenkrebs und 15.000 an Silikose. Der radioaktive Staub wurde durch den Wind in umliegende Dörfer getragen, und Regen spülte die radioaktiven Partikel in Flüsse und das Grundwasser.

Nach der Wiedervereinigung wurde der Uranabbau eingestellt und Sanierungsarbeiten begonnen, die bis heute andauern. Mit insgesamt rund 8 Milliarden Euro dürfte die Sanierung der Uranabbaugebiete in Ostdeutschland das teuerste und aufwendigste Umwelt-Sanierungsprojekt Europas darstellen und ist ein mahnendes Symbol für jahrzehntelange Umweltzerstörung. Auch heute noch fällt bei der Grubenwasseraufbereitung Uran an, das bis Mitte 2021 von der Wismut GmbH verkauft wurde.

KKW Kahl

Das Kernkraftwerk Kahl war das erste kommerziell genutzte Atomkraftwerk der Bundesrepublik Deutschland und wurde von 1960 bis 1985 betrieben. Mit einer elektrischen Leistung von 15 Megawatt war es in etwa so ertragreich wie drei moderne Windkraftanlagen. Während seiner 25-jährigen Laufzeit kam es zu 90 Störfällen, von denen sieben als ernsthaft eingestuft wurden.

Der Rückbau des Kraftwerks begann 1986 und zog sich bis 2010 hin, also neun Jahre länger als die Betriebszeit und zehnmal so lange wie die Bauzeit. Die Rückbaukosten von 150 Millionen Euro waren siebenmal so hoch wie die ursprünglichen Baukosten von 22 Millionen Euro. Das KKW Kahl bleibt das erste vollständig rückgebaute Atomkraftwerk in Deutschland und stellt ein abschreckendes Beispiel für die enormen langfristigen Herausforderungen und hohen Kosten des Rückbaus von Kernkraftwerken dar.

KKW Stade

Das Kernkraftwerk Stade ging 1972 ans Netz und wurde 2005, nach 33 Jahren Betrieb, stillgelegt. Der Rückbau, der ursprünglich bis 2015 abgeschlossen sein sollte, verzögerte sich aufgrund erhöhter Strahlenwerte am Sockel des Reaktors.

Die Baukosten des Kraftwerks lagen bei 150 Millionen Euro. Für den Rückbau rechnete der Betreiber E.ON zunächst mit Kosten von 500 Millionen Euro, mittlerweile wird jedoch mit rund einer Milliarde Euro gerechnet. Der langwierige und kostenintensive Rückbau von Stade verdeutlicht die enormen finanziellen und technischen Herausforderungen, die der Abbau von Kernkraftwerken mit sich bringt.

KKW Brokdorf

Das Kernkraftwerk Brokdorf ging 1986, kurz nach dem schweren Reaktorunglück in Tschernobyl, ans Netz. Schon während der Bauphase Ende der 70er- und Anfang der 80er- Jahre hat es heftige Proteste gegen das Kraftwerk gegeben. 

Mit einer Leistung von 1.410 Megawatt war Brokdorf der leistungsstärkste Reaktor in Deutschland. Das Kraftwerk wurde im Rahmen des deutschen Atomausstiegs Ende 2021 endgültig abgeschaltet. Der lange Betrieb des Kraftwerks und die damit verbundenen gesellschaftlichen Konflikte spiegeln die kontroversen Debatten um die Nutzung der Kernenergie in Deutschland wider.

KKW Isar 2

Das Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut war eines der leistungsstärksten in Deutschland, ging 1988 in Betrieb und wurde am 15. April 2023 abgeschaltet. Trotz des deutschen Atomausstiegs setzte Bayern lange auf die Anlage, obwohl die Entsorgung des radioaktiven Abfalls ungelöst bleibt. Die geschätzten Rückbaukosten belaufen sich auf 2,2 Milliarden Euro. Während Bayern von Atomenergie profitierte, lehnt die Landesregierung gleichzeitig die Errichtung eines Endlagers auf bayerischem Boden kategorisch ab und verweist auf andere Bundesländer – ein Widerspruch, der die Debatte um die Atompolitik zusätzlich polarisiert.

KKW Stendal

Das Kernkraftwerk Stendal sollte das größte Kernkraftwerk in der DDR werden. Ab 1981 wurde mit dem Bau von vier Blöcken mit je 1.000 Megawatt Leistung begonnen. Nach der Wiedervereinigung wurden jedoch aufgrund wachsender Sicherheitsbedenken und finanzieller Probleme die Bauarbeiten gestoppt. Seit Anfang der 1990er Jahre wird das Kraftwerk abgerissen.


KKW Stendal

Das Kernkraftwerk Stendal sollte das größte Kernkraftwerk in der DDR werden. Ab 1981 wurde mit dem Bau von vier Blöcken mit je 1.000 Megawatt Leistung begonnen. Nach der Wiedervereinigung wurden jedoch aufgrund wachsender Sicherheitsbedenken und finanzieller Probleme die Bauarbeiten gestoppt. Seit Anfang der 1990er Jahre wird das Kraftwerk abgerissen

Endlager Schacht Konrad

Das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad in Salzgitter ist die erste nach Planfeststellungsverfahren genehmigte Anlage zur Entsorgung von radioaktiven Abfällen in Deutschland. Ursprünglich war die Inbetriebnahme des Endlagers für 2027 geplant. Allerdings verzögerten sich die Bauarbeiten, sodass die ersten Einlagerungen voraussichtlich erst in den frühen 2030er Jahren erfolgen werden. 

Die Gesamtkosten für die Errichtung des Endlagers werden derzeit auf etwa 5,5 Milliarden Euro geschätzt. Diese Kosten werden zu etwa 35 Prozent aus Steuermitteln finanziert. 

KKW Emsland

Das Kernkraftwerk Emsland wurde 1988 als Ersatz für das 1977 stillgelegte Kernkraftwerk Lingen in direkter Nachbarschaft in Betrieb genommen. Im Rahmen des deutschen Atomausstiegs wurde es am 15. April 2023 endgültig abgeschaltet.