Beim Brexit-Referendum hat die überwältigende Mehrheit der Menschen in Gibraltar für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Mit Großbritanniens Austritt rückt Gibraltar näher an die EU.
Die Halbinsel Gibraltar an der südlichsten Spitze Spaniens ist nur 6,5 Quadratkilometer groß und Heimat von rund 30.000 Menschen. Nirgendwo sind sich Europa und Afrika so nah, nur 14 Kilometer trennen die beiden Kontinente hier voneinander. Die dazwischen liegende Meerenge ist das Eingangstor vom Atlantik zum Mittelmeer und der kürzeste Seeweg nach Asien. Heute ist die Straße von Gibraltar einer der meist frequentierten Wasserwege der Welt. Seit Jahrhunderten ist sie von hoher strategischer Bedeutung für den internationalen Handel und die Kontrolle im Mittelmeer. Das Vereinigte Königreich unterhält in Gibraltar bis heute einen Flottenstützpunkt.
Konflikte zwischen Berbern, Spaniern und Briten haben auf dem Felsen im letzten Jahrtausend ihre kulturellen und militärischen Spuren hinterlassen. Seit 1713 gehört Gibraltar zu Großbritannien, wird aber von Madrid als Teil der Iberischen Halbinsel nach wie vor zurückgefordert. Alle bisherigen Versuche Spaniens, die Kronkolonie zurückzuerobern sind gescheitert.
Als Gibraltar 1969 eine neue Verfassung bekam und die Bewohner sich dafür aussprachen Teil des Britischen Königreichs zu bleiben, schloss der spanische Diktator Franco die Grenzen zu Gibraltar. Sowohl für Gibraltar wie für die spanischen Nachbarregionen hatte das traumatische Folgen: Die Wirtschaft brach ein, Familien wurden auseinandergerissen, die Telefonleitungen wurden gekappt, der Schiffs- und Flugverkehr gesperrt. 13 Jahre, bis 1982, blieben alle Verbindungen nach Spanien geschlossen. Das Misstrauen gegenüber den Spaniern ist seitdem ungebrochen und wuchs während der Brexit-Verhandlungen weiter an.
Viele Unternehmen haben sich in Gibraltar angesiedelt um einen Fuß in Europa zu haben und gleichzeitig von der Steuervergünstigung im britischen Territorium zu profitieren - denn auf dem Felsen gibt es keine Mehrwertsteuer. Das britische Überseeterritorium ist der größte Arbeitgeber der ganzen Region, es bietet gute Arbeitsbedingungen und höhere Bezahlung als Spanien. Täglich passieren über 15.000 Menschen aus Spanien die zweitkürzeste Grenze der Welt um auf der Halbinsel zu arbeiten. Die Bevölkerung und die Wirtschaft der gesamten Region sind eng miteinander verknüpft. Gibraltar importiert jedes Jahr Waren im Wert von 1,5 Milliarden Euro aus Spanien. Die einzige Straßenverbindung mit Spanien führt mitten über den Flughafen von Gibraltar, denn der Platz auf der Halbinsel ist begrenzt. Gibraltar ist eines der dicht besiedelten Gebiete der Welt, die Grundstückspreise sind dreimal so hoch wie auf spanischer Seite.
Beim britischen Referendum über einen möglichen Austritt aus der Europäischen Union im Jahr 2016 hatten die Einwohner Gibraltars mit 96 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt. Der Austritt Großbritanniens ist jedoch seit dem 01. Januar 2021 schmerzhafte Realität.
Wenige Stunden vor Fristende hat Gibraltars Brexitminister Joseph Garcia den vorzeitigen verbleib im Schengenraum mit freiem Personenverkehr mit der EU ausgehandelt. Die genauen Details und Verträge stehen jedoch noch aus. Für den Felsen ist der freie Grenzverkehr mit Spanien überlebenswichtig. Mit dem kompletten EU-Austritt könnte Spanien seine Grenzkontrollen bei der Ein- und Ausreise nach Gibraltar verschärfen, den Warenverkehr zum Erliegen bringen und den Arbeitsweg vieler Pendler um Stunden verlängern.
Viele Gibraltarer befürchten nun das Spanien erneut versuchen könnte die Souveränität der Kronkolonie einzuschränken. Dennoch ist der Verbleib im Schengenraum für Gibraltar überlebenswichtig und könnte auch den Briten die Tür zum EU-Binnenmarkt offen halten.